Jörg Sasse - Texte
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Ein Interview von Matthias Lange mit Jörg Sasse

erschienen in Pakt # 7, 1995

Matthias Lange: Du hast Dich fast zehn Jahre mit Inneneinrichtungen beschäftigt, wie bist Du jetzt zu dieser thematisch doch sehr freigestellten Arbeit gekommen?

Jörg Sasse: Daß die aktuelle Arbeit 'sehr freigestellt' ist ergibt sich natürlich aus deiner Annahme, daß ich mich 10 Jahre lang mit Inneneinrichtungen beschäftigt habe. Dem würde ich nicht so ohne Weiteres zustimmen - oder besser: ich halte es nicht für das Wesentliche der bisherigen Arbeit, daß sie sich in mehr oder weniger festem Sujet bewegt hat. Ich bin nie losgezogen, um ein bestimmtes Thema zu bearbeiten, auch wenn das eine Zeit lang so rübergekommen ist. Die Wohnungen, Schaufenster und öffentlichen Gebäude, in denen ich gearbeitet habe, waren eher mein Ausgangsmaterial. Die ältesten Arbeiten, die ich heute noch zeige, sind von 1983. Nicht wenig, was bis Mitte der 80er Jahre entstand, war kommentierend zu dem, was in der Kunst im Umfeld gemacht wurde. Ich fand, daß einige Sachen ziemlich überbewertet waren - oder vielleicht war das auch mein eigener Respekt, gegen den ich an wollte. Meine Fotos am Anfang waren erzählerisch. Denen, die an die Fotografie als Abbild von Wirklichkeit glaubten, mag das dokumentarisch dahergekommen sein. Diese klugen Köpfe konnten sich dann darüber lustig machen - jedenfalls so lange, bis ich zu ihnen selbst in die Wohnung kam. Manche ließen mich auch gar nicht erst rein.
W-90-07-01, Mettmann 1990 (28 x 38 cm)'Fotografie ist keine Kunst', hieß es da von einigen anderen Studenten an der Akademie. Und es war ja auch wirklich eine Zeit, in der der Begriff 'Becher-Klasse' höchstens in der Akademie bekannt war. Die Arbeit der Bechers wurde mit dem Label Konzeptkunst in eine vergangene Zeit sortiert. Die 'Foto-Künstler' waren die, die im Labor große s/w Fotos mit dem Schwamm entwickelten oder den Surrealismus in der Fotografie nachholten. Dann gab es noch den Einfluß der 'richtigen' Fotografen, die in den 70ern die Kamera als Zeigeinstrument von sozialer Wirklichkeit benutzt haben. In die Schublade paßten meine Arbeiten in der Zeit halt besser, also wurden sie in diesem Kontext gesehen.
Für mich lag da noch die erste Generation von Becher-Schülern dazwischen, und das fand ich schon ziemlich radikal, zumindest zu versuchen, das Wertende aus den Bildern rauszuhalten, den Versuch einer größtmöglichen Annäherung ans Objekt zu machen. Aber meine Sache war das nicht, ich habe mich mehr dafür interessiert, Situationen zu verdichten. Den Versuch zu machen, eine Entsprechung von 'Wirklichkeit' im Bild zu erzeugen, anstatt etwas 'abzulichten'. Dabei ging es nicht mehr um den einen Ort, an dem ich gearbeitet habe, sondern um das, was sich an diesem Ort fand, das auch an vielen anderen gelten kann. Zu der Zeit habe ich auch viele mit inszenierten Stilleben experimentiert, was ich allerdings nicht so spannend fand. Die Wirklichkeit lieferte immer das bessere Material.
Mitte bis Ende der 80er kam dann diese ganze Kitsch-Diskussion in die Kunst, und auf einmal war wieder ne neue Schublade für die Sasse-Arbeiten gefunden. Plötzlich gab es richtige Highlights: die beiden Topflappen an der gekachelten Küchenwand oder der Hirsch auf dem Schrank. Und viele zeigten mit dem Finger auf das Foto, hatten dabei Begriffe im Mund und meinten etwas, was sich in ihrem Kopf abspielte, aber nicht auf meinen Arbeiten. Das Bild vom Hirsch auf dem Schrank funktioniert doch nur, weil dieses Objekt an eben genau dieser Stelle plaziert ist und eine Raumillusion durch den Schrank und die darüber gerahmte Decke erzeugt wird. Und da kriege ich jetzt doch noch die Kurve zu deiner Frage: es ist eben nicht die Beschäftigung mit Inneneinrichtung, sondern die mit dem Bild. Und der Farbe natürlich, was bei dem erwähnten Bild mit den Topflappen vor der Kachelwand ne große Rolle spielt. W-88-02-03, Bad Salzuflen 1988 (28 x 38 cm)Das 'Hirschbild' wäre halt auch gut, wenn an Stelle des Hirsches ein abstraktes Objekt in ähnlicher Farbe und Ausrichtung stehen würde. Und ich glaube auch, daß es ebenso komisch wäre. Vielleicht sieht jetzt der Weg zu den neuen Arbeiten nicht mehr so weit weg aus wie am Anfang. Das, was die Bilder meiner Meinung nach ausmacht, sind halt nicht die wiedererkannten Dinge darauf.
In deinem Beitrag für Blitz-Review hast du ja davon geschrieben, daß in den neuen Arbeiten genau diese benennbaren 'Bezugspunkte' fehlen oder sich verweigern. Das ist auch ein wenig eine Konsequenz daraus, daß das Benennbare mal eine zu große Rolle spielte, auch wenn in den letzten Jahren bei den 'selbstfotografierten' Arbeiten dieser Aspekt immer unwesentlicher wurde.

ML: Du selbst hast mal gesagt, die Optionen auf verschiedene Betrachtungsweisen seien längst vergeben, was meinst du damit?

JS: Das ist in einem Pressetext fälschlich als Zitat von mir ausgegeben. Ich kann mir eigentlich keinen Reim darauf machen, in welchem Zusammenhang das entstanden ist. Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich in dem Gespräch gesagt, daß ich es in der Fotografie für überholt halte, in Kategorien wie 'dokumentarisch' oder 'subjektiv' zu denken, oder eben auch, was meine Arbeit betrifft, von Sujets oder Themen zu sprechen. Gerade hier liegt ja das Potential vom Visuellen - jedenfalls wenn es nicht illustrativ oder zusammen mit Text benutzt wird.

ML: Die meisten Bilder haben mich stark an Filmstills erinnert, gab es für Dich auch solche Überlegungen bei der Zusammenstellung?

JS: 'Realistische' Bilder haben wohl immer die Eigenschaft, einen Assoziationsraum aufzumachen. Das Material für meine neuen Arbeiten waren Amateurfotos. Das allein setzt ja bereits Rahmen. Was für mich erstmal eine große Rolle spielte war, wie ich diesen Beigeschmack von Privatheit aus den Bildern bekomme. Ich habe schon seit einigen Jahren mit Privatfotos herumexperimentiert, Repros von Ausschnitten gemacht und die Farben 'korrigiert. Es blieb aber immer noch ein Rest von diesem Geruch des unfreiwilligen Diaabends, bis ich über die Arbeit am Rechner 'massiver' ins Material eingriff. Das ist vielleicht ein ähnlicher Vorgang, wie die Großbildkamera und kompliziertes Licht in irgendeiner Wohnung aufzubauen, um zu einer Übersetzung ins Bild zu kommen und damit den Ausgangspunkt zurückzulassen. Wenn du jetzt von Filmstills sprichst, dann schwingt da ja schon diese Umsetzung mit.
Natürlich wird eine Fotografie immer das Erkennbare mit tragen. Und das ist auch gut so. Was mich interessiert ist der Punkt, an dem sich das autonome Bild an der Wand mit dem Verweis auf die gewesene Wirklichkeit trifft. Der Punkt, an dem man meint, etwas erkannt zu haben, das sich im nächsten Moment jedoch wieder entzieht. Aus dieser Sicht habe ich versucht, die Hamburger Ausstellung auszuwählen und zu hängen.

Matthias Lange, 1995