Jörg Sasse - Texte
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Zur Sache. Sehen.

Aus dem Buch 'Jörg Sasse - 40 Fotografien', Schirmer/Mosel, München

Sasses Fotografien zeigen Gegenstände des Alltagsgebrauchs, wie sie uns begegnen in Schaufensterdekorationen, Wohnungen, öffentlichen Gebäuden oder an ähnlichen Orten. Sie wurden so vorgefunden, nichts ist eigens arrangiert oder inszeniert worden.

In den Fotografien begegnen uns diese Gegenstände wieder. Kein technischer Eingriff scheint sie verzerrt oder verfremdet zu haben. Was sie zeigen, kann erkannt und benannt werden: Frauenkopfrelief unter einer Badezimmerlampe; Tischrund mit Musterdecke vor Sonnenuntergangsfototapete, dazwischen die Lehne eines Stuhls; weiße Lamellendecke über Neonlampe an grüner Wand, zwei weiße Strukturmauern links und rechts davor; weiße Tür mit braunem Lüftungsschlitz, roter Holzboden, blauer Türrahmen, weiße Rauhfaser, Linoleumboden hinter bzw. unter der Tür.

Das erste, orientierende Benennen dessen, was diese Fotografien zeigen, ist nicht so unproblematisch, wie es anfangs schien. Das fotografierte Objekt läßt sich im Falle des Frauenkopfes und der Badezimmerlampe zunächst noch als von seinem Umfeld isoliert verstehen, d.h. "abgebildet" als diese Gegenstände begreifen, als Gegenstand, d.h. als Referent auch des Fotos. Das aber ist schon in den nächsten Bildbeispielen nicht mehr so eindeutig sagbar.

Hier steckt ein erster und ernst zu nehmender Hinweis auf die Problematik der Arbeiten. Hier tut sich ein Spalt auf, der im Text als offener angenommen und offengehalten werden soll: die Verweigerung schon des ersten Sprachanlaufs, der ordnenden Typisierung, des Be-greifens. Dort, wo die Sprache (nicht aus Unvermögen des Sprechenden) viele Worte braucht und wenig aussagt, ist eine Grenze angerührt, an der Verstehen zur Aufgabe wird.

Das beschreibende Erfassen der Gegenstände trägt mit sich ein Umschreiben ihres Zueinanderstehens auf der Fotografie. Konnte mit dem ersten Beispiel der Gegenstand des Fotos einfach benannt werden, so hat sich in den darauffolgenden der Akzent des Benennens verschoben hin zu einer komplexeren verbalen Erfassung, welche zunehmend den örtlichen und räumlichen Verhältnissen der Gegenstände zueinander Rechnung zu tragen sucht.

Zu sagen, Sasse fotografiere diese und jene Gegenstände, ist zwar eine richtige, doch sehr eingeschränkte Aussage. Auch ist die Feststellung, er fotografiere Alltagsgegenstände in geschlossenen Räumen sicherlich zutreffend, als thematische Annäherung ist sie wenig geeignet, einen Zugang zu den Arbeiten zu eröffnen.

Das hier vorgeführte Bedenken der ersten Begegnung mit diesen Fotografien liefert jedoch Hinweise, denen weiter nachgegangen werden muß.
Das bisher Beobachtete gibt eine Reihe Fragen auf. Was liegt hier für ein Verständnis von den Gegenständen vor, die in der Alltagswirklichkeit vorgefunden und ohne offensichtliche Manipulation abgelichtet worden sind? Was liegt hier für ein Verständnis von den Fotografien vor, die diese Gegenstände zum Gegenstand haben?

Die Begegnung mit der einzelnen Arbeit erst kann dieses Fragen vertiefen.
Vor einer weißen Tapete ist horizontal eine längliche, weiße Badezimmerlampe angebracht. In einigem Abstand darunter hängt ein Frauenkopfrelief. Der Kopf ist schwarz, die zu einem Zopf zusammengebundenen Haare sind blau, der Mund ist rot bemalt. Diese Gegenstände in dieser Konstellation befinden sich auf einem Foto Jörg Sasses. Es trägt den Titel "W-90-02-01, Gießen 1990". Die Fotografie zeigt die beiden Gegenstände frontal, die weiße Tapete ist Hintergrund, die Wahl des Ausschnitts läßt den Ort, an welchem diese Gegenstände vorgefunden wurden, außerhalb des Fotos. Weiße Tapete, Badezimmerlampe, Frauenkopfrelief. Die erste Konfrontation mit dem Foto führt den Beschauer an die Gegenstände heran. Was da zu sehen ist, kann ohne Umschweife erkannt werden. Mit dem Erkennen der Gegenstände geht einher das Benennen: weiße Tapete, Badezimmerlampe, Frauenkopfrelief.

Was können wir über die Gegenstände sagen, die wir auf diese Weise erkennend benennen?
Die Badezimmerlampe, 60er Jahre Design, Funktionalität und Formstrenge, links der quadratische Schalter. Frauenkopfrelief, bemalter Ton, zu datieren zwischen Mitte 50er bis Anfang 60er Jahre, industriell hergestellte Massenware, damit der Badezimmerlampe verwandt. Weißgestrichene Tapete - vielleicht Atemholen nach der Buntmusterflut der 70er Jahre. Diese Gegenstände scheinen Spiegel ihrer Zeit, sagen von Geschmack und Vorlieben, ihr Arrangement mag die Geschichte des Versuchs erzählen, mittels hausbackener Kreativität und zeitgeschichtlichen Vorgaben ein Stück Wohnfeld zu verschönern, der Funktionalität der Beleuchtungsquelle ein Gegengewicht zu setzen. Mit diesem Sagen über die Gegenstände zeugt diese Fotografie von einem Stück Wohnalltag - einzuordnen irgendwo zwischen Nachkriegszeit und beginnender 90er Jahre. (Der Titel verweist auf das Aufnahmejahr: 1990) Das Sagen von den Gegenstände wird unversehens zu einem Sagen über die Fotografie: sie ist Dokument von Alltagswelt, sie bildet ab, kalt, ohne zu interpretieren, ohne zu kommentieren, ein Stück Wirklichkeit.

Wer das der Fotografie nachsagt, irrt. Irrt, wenn er sich nicht klarmacht, daß das hier vorgeführte Sagen ein Sagen von den Gegenständen ist, die die Fotografie zweifellos zeigt. Dieses Sagen von den Gegenständen jedoch könnte ebenso am Ort ihrer Ablichtung stattfinden, könnte Gespräch sein angesichts dieser Konstellation an der Wand. Damit ist nicht der Fotografie als Bild Rechnung getragen.

Wie konnte das geschehen? War nicht ausdrücklich das Foto Anlaß und Ausgang der Überlegung? Um diese Fragen zu beantworten muß noch einmal der bisherige Weg des Denkens aufmerksam nach-gedacht werden.

Das Fragen nach der Fotografie stieß unvermittelt auf den Referenten, auf die Gegenstände, die das Foto zu sehen gibt. Diese konnten sogleich als Gegenstände der Alltagswelt erkannt und auch so benannt werden, aber mit diesem Schritt schon wurde die Frage nach der Fotografie zur Frage nach den Gegenständen. Das Sagen von den Gegenständen aber im erkennenden Benennen erweiterte nicht die Erkenntnis über die Gegenstände als Gegenstände. Sie bekamen Namen, sie selbst aber blieben stumm. Die Frage wandelte sich unbemerkt ein weiteres Mal. Was im Benennen erfahren werden konnte war ein Erinnern, ein Anknüpfen an Vorgewußtes. Das liegt jenseits der Gegenstandsbezeichnung, als Kulturgut, Konvention, Wissen um Geschichte und Geschichten.

Von der Fotografie zu den Gegenständen, von den Gegenständen zu deren Geschichte, zu einem Stück Kulturgeschichte, vermischte Erfahrungen aus persönlichem und kollektivem Wissen: ein solches Vorgehen ist an der Fotografie vorbeigegangen und hat sie stillschweigend verleugnet.
Die Annäherung an die Fotografie selbst fordert eine ihr gemäße Haltung. Die Eingangs gestellten Fragen müssen neu formuliert werden. Nicht das "Was sagen die Gegenstände auf dem Foto?" eröffnet einen Zugang, sondern das "Wie zeigt das Foto diese Gegenstände?". Damit ist das Sagen der Fotografie von sich als Bild gefragt. Das Bild sagt dieses in seiner ihm eigenen Sprache. Dieser Sprache muß nachgegangen werden. Dem Hören auf die Sprache des Bildes macht das Bild selbst ein ihm wesensmäßiges Angebot - ein Sehangebot.
Wie also zeigt das Foto die Gegenstände?

Die Wahl des Ausschnitts (AUSSCHNITT: Ausschneiden aus der Wirklichkeit, abschneiden der Bezüge zur Wirklichkeit, herausheben aus ursprünglichem Kontext, isolieren vom Zusammenhang, auf sich gestellt Sein des Ausgeschnittenen) legt das Zueinander der Bildgegenstände untereinander, zu den Bildgrenzen des Gevierts oben und unten, links und rechts fest. Damit gibt sie auch die Gesamtpräsentation der Konstellation dem Auge des Beschauers vor: sowohl die Lampe als auch das nach links gewendete Halbprofil des Frauenkopfes zeigen sich frontal. Die mittels Augenmaß getroffene Komposition ist nicht mathematisches Konstrukt, doch in ihrer Maß-Nahme nicht weit davon entfernt. Der Verlauf der Lampenoberkante parallelisiert den oberen Bildrand, die Abstände zwischen Lampenoberkante und oberem Bildrand sowie zwischen Halsabschluß des Kopfes und unterem Bildrand sind identisch. Gleiches gilt für die Abstände zwischen linker und rechter Seitenkante der Lampe zu den jeweiligen Bildbegrenzungen links und rechts. Und auch der Abstand zwischen Lampenunterkante und abschließendem Haarkontur nimmt das Maß der Dingabstände zum oberen bzw. unteren Bildrand auf. Sowohl das Zueinander der Bildgegenstände als auch ihr Verhältnis zu den vier Bildbegrenzungen ist durch diese kompositorischen Maßnahmen untereinander geregelt und damit zu einem unlösbaren Ganzen verknüpft. Das Foto bildet diese Gegenstände nicht ab, sondern organisiert sie erst auf sich bezogen neu. Tapete, Lampe und Kopf, jetzt begriffen als Bildelemente, sind als solche Teile der Planimetrie des Bildes.
Ein genaues Hinsehen aber eröffnet mehr. Der frontalen Regelung der Bildelemente steht entgegen die Sicht des Kameraauges. Der Lampenquader zeigt drei Seiten: die Unterseite, die linke Seite und die Front. Oberseite und rechte Seite sind so ins Bild gesetzt, daß jeweils ihre Kante, der Konturverlauf der Frontseite also, sichtbar ist. Die Optomechanik der Balgenkamera schafft mit ihrer Möglichkeit der unabhängigen Achsenverschiebung von Objektiv und Bildplatte die Voraussetzung zur Realisation dieses Widerspruchs: Frontalität der Bildgegenstände und zugleich Untersicht von links. Diese mittels der Kamera von den Dingen präsentierte Sicht ist Ergebnis des Vorgehens Sasses. So, wie die Gegenstände hier innerhalb des Ausschnitts gesetzt sind, können sie nicht am Ort ihrer Aufnahme mit dem bloßen Auge erfahren werden. Damit sind die Gegenstände der Alltagswirklichkeit enthoben und in eine neue, nur vor dem Foto zu erfahrende Wirklichkeit gerückt. In die Wirklichkeit des Bildes. Damit erfahren sie als Bildelemente Sinnzuwachs. Neben ihrer Position innerhalb der Planimetrie des Ausschnitts sind sie auch als plastische Körper vor dem weißen Hintergrund ablesbar und aufeinander bezogen. Das Freilegen ihres Wesens als diese Bildwerte öffnet den Blick für strukturale und formale Korrespondenzen: die chaotische Struktur des Haarschopfes findet ihren Widerpart in der geregelten Organisation des Lampenglases. Plötzlich enthüllt sich die Konstellation als in keinster Weise beliebige: die Untersicht von links ist bestimmt von der Halbprofilvorgabe des Kopfes. Die sichtbare, dem Beschauer zugewandte linke Gesichtshälfte findet ihre Entsprechung in der sichtbaren linken Seite des Lampenquaders. Doch sind sie damit nicht zugleich von der Wandfläche und der Flächenplanimetrie isoliert. Die Untersicht von links läßt ein größeres Stück unbemalte Tapete rechts neben dem Lampenquader fast völlig verschwinden, so das der "Grund", das Weiß der Wand, in der Kontinuität gehalten bleibt. Das Fehlen der Aufsicht auf die Oberseite des Lampenquaders birgt die Plastizität zurück in die Fläche. An dem schmalen Grad, markiert durch die gerade noch als dünne Linie sichtbare Staubschicht auf der Lampenoberseite, enthüllt sich die Logik des vielschichtigen Beziehungsgeflechts der Bildelemente.
Die hier vorgeschlagene und am Beispiel durchgeführte Leseweise der Fotografie ist ihr unter gänzlich anderen Voraussetzungen begegnet.
Das sehende Sehen hat die Fotografie Sasses als Bild angenommen. Das Hören auf die Sprache des Bildes hat jetzt anderes enthüllt:

Das Bild verweist auf sich. Zeigt sich als Gemachtes, als aus einem Arbeitsprozeß Hervorgebrachtes. Die Gegenstände (die Referenten des Fotos) haben sich gegenüber der zunächst vorgeschlagenen Leseweise in einem Aspekt enthüllt, der sie als Bildelemente ausweist und damit ihrer wie immer zuzutragenden inhaltlichen Aspekte entkleidet. Dabei ist der "Durchgang durchs Material" - also über das Medium Fotografie - vorgestellt, aber noch nicht eigens bedacht worden. Darüber hinaus ist die Frage nach der Gewichtung der beiden Leseweisen noch offen gehalten. Immerhin kann für dieses Bildbeispiel die Überlegung zutreffen, jene kompositorischen, jene bildsyntaktischen Maßnahmen dienten der Präsentation eben jener Gegenstände, mithin seien diese Gegenstände weiterhin das Gemeinte. Das "Ins-Bild-Setzen" des Alltagsgegenstandes bedarf der genaueren Untersuchung. Ein weiteres Bildbeispiel muß befragt werden, um den "springenden Punkt", an dem das Abbild des Alltagsgegenstandes umspringt und seine Qualitäten als Bildwerte geltend macht, genauer zu fassen. Darin könnte dann ein Hinweis sich verbergen, die Haltung Sasses und damit ein Gemeinsames der Bilder einzukreisen, welches diesseits thematischer und gattungsspezifischer Kontexte, die immer von Außen herangetragen werden, liegt: diesseits, d.h. in den Arbeiten, von diesen selbst vorgetragen.

Die Arbeit trägt den Titel "W-90-12-04, Bad Salzuflen 1990". Sie zeigt eine Fototapete mit Sonnenuntergang, ein Tischrund mit einer Musterdecke, dazwischen die Lehne eines Stuhls. Keiner der hier gezeigten und benannten Gegenstände ist als Ganzer zu sehen. Sowohl die Tapete als auch das Tischrund sowie die Stuhllehne sind angeschnitten. Die Sicht auf den Grund, auf dem Tisch und Stuhl stehen, ist verwehrt. Keiner der drei Gegenstände ist an exponierter Stelle gegenüber den anderen herausgehoben, so daß nicht gesagt werden kann, dieser oder jener sollte mittels der Fotografie präsentiert werden. Obwohl offensichtlich der Ausschnitt, den dieses Foto zu erkennen gibt (der dieses Foto ist), ein Tisch-Stuhl-Tapeten-Ensemble zeigt, sind diese Gegenstände so eng aufeinander bezogen, ist das in allen Teilen stark beschnittene Ensemble so begrenzt aufgefaßt, daß keinerlei Hinweise auf den Ort, an dem sie vorgefunden wurden, sich vermitteln. Dieses und die Tatsache, daß keiner der Gegenstände ganz gezeigt wird, versagt sich damit den Grundvorraussetzungen einer dokumentierenden Typisierung.

Die erste Annäherung liefert einen Hinweis, der weiterverfolgt werden muß. Die einzig positiv zu nehmende Feststellung betraf das enge Aufeinanderbezogensein der Gegenstände trotz ihrer fragmentarischen Präsentation innerhalb des Ausschnitts. Dieser Hinweis gibt aber schon ein Fragen vor, welches die zweite Leseweise dieser Fotografien betrifft. Er verlangt ein Fragen nach dem "Wie zeigt das Foto diese Gegenstände". Weiter oben bereits wurde gezeigt, inwiefern diese Frage zu präzisieren ist: Wie werden diese Gegenstände ins Bild gesetzt und welche Auffassung vom Alltagsgegenstand (wie wird er begriffen) scheint in diesen Arbeiten auf?

Der Annäherung jenseits des begrifflichen Bedenkens und Einlösens des Gesehenen begegnet ein Farbzusammenhang, der alle Gegenstände verbindet: Gelb-, Orange- und Brauntöne tragen den ersten Gesamteindruck des Bildes. Diese Farbübereinstimmung ist erst der Ausgangspunkt, der Anknüpfungspunkt, wenn man so will, für die Realisation der Bildfindung. Mittels der Aufsicht auf das Tischrund sowie des Überschneidens von Tischkante und Fototapete aufgrund der erhöhten Kameraposition, werden zwei Ebenen, Wandfläche (Fototapete) und Tischrund (Mustertischdecke), die in der Realität im 90° Winkel und mit einigem Abstand zueinander stehen, auf einer Ebene vermittelt. Diese Ebene, der sie eingeschrieben werden, ist die zweidimensionale Fläche des Bildes. Sie ist ebenso Teil des künstlerischen Ausgangsmaterials, welches einerseits die zu fotografierenden Gegenstände und ihr Zusammenstehen in der Realität umfaßt als auch die Möglichkeiten der von Sasse eingesetzten fototechnischen Mittel, von der Balgenkamera auf dem Stativ bis hin zur künstlichen Lichtquelle.

Wie werden die beiden Ebenen, Wandfläche und Tischrund, der zweidimensionalen Fläche des Bildes eingeschrieben?
Sasse benutzt zwei identische Strukturmerkmale der nicht identischen Gegenstände Fototapete und Tischdecke, um sie als Bildelemente logisch aufeinander zu beziehen: die Reflexionsspur der untergehenden Sonne auf dem Wasser wird in ihrem senkrechten Verlauf fortgesetzt im Muster der Tischdecke über deren mittlere Rosette hinaus zum unteren Bildrand. Die farbliche Annäherung sowie die strukturale Ähnlichkeit der in zwei verschiedenen Gegenständen vorgefundenen Spuren werden als Bildelemente benutzt, um die Wirklichkeit umzusetzen in eine nur vor der Fotografie zu erfahrende Bildwirklichkeit. Das Verhältnis von Fototapete und Musterdecke ist aber noch einmal um eine Dimension komplexer. Das erste Strukturmerkmal, die zu einem Bildzeichen umgesetzte Spur der Fototapete, ist zugleich, da es sich um die Fotografie eines Sonnenuntergangs am Wasser handelt, Spur der Lichtreflexion der in Sasses Ausschnitt nicht zu sehenden untergehenden Sonne. Zugleich aber ist - innerhalb des Gültigkeitsbereiches Fototapete - diese Lichtspur wesentliches Element der räumlichen Illusion, die diese Tapete vorgibt. Die Lichtspur erfährt nun durch ihre strukturale Fortsetzung im vertikalen Verlauf des Tischdeckenmusters eine Verlängerung, die drei Wirklichkeitsebenen umspannt: die der räumlichen Illusion auf der Tapetenlandschaft, die des räumlichen Verhältnisses von Fototapete als vertikale Wandfläche und Musterdecke als horizontale Tischfläche und die Vermittlung und Auflösung beider in der Bildwirklichkeit dieser Arbeit. Das Ergebnis dieser Maßnahme ist: das räumliche Verhältnis von Tisch und Wand wird aufgehoben, beide werden in Bezug auf die Bildfläche im Zueinander als flächig erfahren , lassen sich aber auch und zugleich lesen als Ineinandervermittlung und Aufnahme der durch die Sonnenlichtspur suggerierten Flucht "nach hinten". Es ist das bewußte Hereinholen einer weiteren Vorgabe der Fototapete in die Logik der Bildsyntax, die beide Leseweisen eröffnet: ein optisch bedingter "Fehler" im Fototapetenmotiv. Ein roter, kreisrunder Lichtreflex auf der Kameralinse. Dieser zeigt sich auf der Fototapete innerhalb der Sonnenlichtspur und ist von einem Durchmesser, der annähernd der Breite derselben entspricht. Der Lichtfleck erhält die Funktion eines Angelpunktes, an dem die Blickführung und Ebenenvermittlung, welche Bezug nimmt auf die Raumillusionsvorgabe der Sonnenreflexionsspur, aufgestört wird und sich Fortsetzen kann als vertikale, der realen Bildfläche parallele Blickführung. Der Rote Reflexionskreis ist als nicht gegenständlich einzulösendes Bildelement nicht einbegriffen in die raumillsionistische Vorgabe des Tapetenmotivs. Als nichträumlicher, nichtkörperlicher Farbkreis ist er unmittelbar bezogen auf die Bildfläche des Fotos. Zugleich erfährt er als Bildelement Bezugnahme auf das Rund der Mittelrosette der Tischdecke. Damit wird die Raumillusionsvorgabe der Fototapete zurückgenommen, die Fototapete wird als strukturierte Fläche auf die Flächenvorgabe des Musterdekors bezogen. Der unmittelbare Bezug von Tischdeckenmuster und Fototapete ist durch eine weitere Maßnahme gegeben. Das Tischdeckenmuster füllt im rechten, unteren Bereich die Bildfläche ganz aus. Die Bildbegrenzungen begrenzen hier auch das Tischdeckenmuster. Musterdekor und Bildfläche sind also an dieser Stelle identisch. Ebenso ist auch der Ausschnitt der Fototapete darüber Bildflächenparallel zu lesen. Denn entsprechend dem Verhältnis von Mustertischdecke und den Bildbegrenzungen unten rechts, ist die Fototapete mit den Bildbegrenzungen oben rechts identisch. Doch ist an dieser Stelle Vorsicht geboten. Die beschreibende Analyse kann der Komplexität des zu Sehenden nicht nachkommen. In der sukzessiven Bewegung der Sprache ist der Lichtfleck herausgehoben und zu einem wesentlichen Funktionslement der Ebenenvermittlung geworden. Doch erst das simultane Ineinanderspiel verschiedenster Faktoren (horizontale Strukturen der Fototapete, Krümmung des Tischrunds etc.) leistet das hier zu zeigen gesuchte. Die Logik der Sprache kann das Umspringen des zu Sehenden - das Geschehen - ,das damit einhergehende schlagartige Einsichtig-Werden gegensätzlicher Verknüpfungen, die in nicht-hierarchischem Verhältnis zugleich nebeneinander stehen, nicht mehr bewältigen. Darum muß die Sprache wieder Abstand nehmen von der eigentlichen Erfahrung. Sie kann nur die Faktoren ansprechen, erläuternde Hinweise geben, dem Auge des Ungeduldigen das Hinsehen nahelegen. Wiederum wird mittels leichter Achsenverschiebung von Objetiv- und Bildplattenebene die vertikale Bewegung der beiden Strukturen von Fototapete und Musterdekor parallel zum rechten Bildrand gesichert. Mit einer Kamera, welche, bedingt durch die fixe, zueinander parallele Stellung von Objektiv und Bildplatte nur die starre Zentralperspektive kennt, hätte man diese Ausrichtung nur durch die Aufnahme dieses Verlaufs genau in der Mittelsenkrechten (Mittelachse) des Fotos erreicht. Dann aber läge ein anderer Ausschnitt, damit ein anderes Foto vor. Sasses Umsetzung des Vorgefundenen mittels der Optomechanik seiner Kamera ist abzulesen an der nach hinten links wegfluchtenden Horizontalen des Tischdeckenmusters, welches in der Realität im 90° Winkel zur Senkrechten steht. Das dieses nicht der Fall ist, ist keine notwendigerweise in Kauf genommene Unstimmigkeit, sondern Schlüssel, in diesem Fall Blickzeichen, Blickführung zu einer weiteren und nicht minder für das Gesamt des Bildes entscheidenden Maßnahme. Links nämlich wird die Raumsituation des Ensembles sichtbar durch zwei nicht-farbige Elemente: ein Stück freie Wand unterhalb der Fototapete und die Lichtreflexe auf der Stuhllehne.
An diesen Stellen kippt die Flächigkeit der rechten Bildhälfte um in die Räumlichkeit der linken. Diese Maßnahmen, das Herausheben und Umformulieren des Gegebenen durch die Wahl des Ausschnitts und der Einsatz künstlichen Lichts, läßt exact ab der Mittelsenkrechten die linke Bildhälfte gegenüber der rechten entschieden anders erfahren.
Ausschnitt und Lichtführung sind so gewählt, daß die räumliche Situation auf dem Foto erst als räumliche Situation erkennbar wird. Das, was in der Wirklichkeit sofort erkannt werden kann - die räumliche Verordnung der Gegenstände - ist auf diesem Bild erst Ergebnis seiner Konstruktion. Der Bogen des Tischrundes überschneidet den unteren Rand der Fototapete und gibt den Blick frei auf ein Stück weiße Wand unterhalb der Fototapete. Im Zeigen des weißen Stückchens Wand wird dieses zu einem Bildzeichen, welches sich als weißer Keil zwischen Tisch, Stuhllehne und Tapete schiebt. Als Bildzeichen hat es die Funktion, den Farbzusammenhang an dieser Stelle aufzulösen und so die Ebenen herauszustellen, in denen sich die Gegenstände wieder voneinander scheiden. Die Lichtreflexe auf der Stuhllehne schließlich bezeugen, indem auch sie den Farbzusammenhang lösen, dieselbe erst als Körper, der sich zwischen Tapete und Tisch befindet. Obwohl diese Arbeit zwei unterschiedliche Raum-Fläche Verhältnisse mittels ihrer linken und rechten Bildhälften zeigt, bricht das Bildganze nicht etwa auf. Die so zueinander als Bildelemente ins Bild gesetzten Gegenstände, geben selbst eine Blickführung vor, die zum einen beide Extreme einander vermittelt, zum anderen den Blick, das Sehen, an keiner Stelle aus dem Bild fallen läßt. Über die Mittelrosette des Tischdeckenmusters als optischer Haltepunkt kann der Blick aus der Flächigkeit der rechten Bildhälfte herausgeführt werden in die räumlichen Verhältnisse links. Von dort wird er geleitet vom Kreisbogen des Tischrunds heraus aus der räumlichen Verortung hinein in die Flächenverhältnisse der rechten Bildhälfte. Die Bildelemente sind so entschieden als Bausteine des Bildganzen begriffen, das Bildganze wiederum ist so genau konstruiert, daß die Blickführung auch den umgekehrten Weg zu gehen gestattet, ohne dabei das Bildganze aufbrechen zu lassen oder ein Ineinandervermitteln der beiden Bildhälften zu verhindern.

Die bis hierher geführte Analyse suchte die dichte Vernetzung der Gegenstände auf der Bildfläche zu verdeutlichen. Dabei mußte in einer komplexen Sprachbemühung herauspräpariert werden, daß dieses nur unter der Bedingung einer Umsetzung der vorgefundenen Gegenstände in Bildzeichen (-elemente) funktioniert. Das hierbei von dem Bild Geleistete ließ die Bemühung der Beschreibung an ihre Grenzen stoßen. Die Komplexität des Ineinandergreifens der Bildelemente, wie sie jene Stelle zwischen Tischrund und Wand dem Auge simultan erfahrbar macht, ist ungeheuer. Sie ist ungeheuer, weil die Sprache der Bildanalyse der Erfahrung des Sehens nicht nachkommen kann. Mit dem Scheitern des sprachlichen Zugriffs steht das Bild als Gegenüber und bleibt offen als nicht zu Bewältigendes.

Das Ergebnis dieser Analyse konnte die im Anschluß an das erste Bildbeispiel aufgeworfene Frage, inwiefern das Zeigen der Gegenstände mit den Mitteln der Fotografie die Gegenstände selbst noch meint, in einer bestimmten Richtung erhellen. Die Gegenstände haben sich in einem anderen Licht gezeigt. Die Fotografie zeugt von diesen Gegenständen auf eine ihr selbst eigenen Weise. Sie hat ihnen eine Umsetzung angetragen, die sie ihrer Kontexte, in denen sie uns in der Alltagswirklichkeit begegnen, enthebt. Die Umsetzung selbst aber bedient sich der Eigenschaften und Qualitäten, welche den Gegenständen abgesehen werden können und nimmt diese als Material und Mittel zur Bildkonstruktion. Das sehende Sehen nimmt den Referenten, die Gegenstände als Elemente innerhalb der Logik des Bildgefüges. Der Antrag an die Gegenstände der Alltagswirklichkeit ist kein erkennendes Verstehen mehr, sondern ein wahrnehmendes Erfahren ihrer primären Qualitäten, der Beschaffenheit ihrer Oberflächen, der Strukturen ihres Materials oder der Spuren ihres Gefertigtseins, der Farben, Formen, Linien und Flächen. Diese primären Qualitäten werden mit den Mitteln des künstlerischen Zugriffs zu einem Aussagepotential gebracht, welches eine elementare Sicht auf die Wirklichkeit mit den Regeln einer künstlerischen Umsetzung über die Sinne, hier mit den Augen, zu erfahren aufgibt. Im Hören auf die Sprache der Bildanalyse, die eine andere ist als die Sprache der Geschichte von den Gegenständen und ihrem Sagen, enthüllen sich Verweise auf den Kern der Arbeit Sasses. Er bedient sich vorgefundener, von Menschen zu bestimmten Zwecke hergestellter Gegenstände des Alltagsgebrauchs und entkleidet diese auf Grundstrukturen, welche ihres Äußeren entborgen sind. Nicht aber, um mit diesen Grundstrukturen Aussagen über die Gegenstände zu machen, sondern diese Grundstrukturen in einen neuen Kontext als Bildelemente zu überführen. Die aus ihrem Funktionszusammenhang genommene Struktur z.B. des Tischdeckenmusters - die ihre Struktur nur aufgrund ihres Funktionszusammenhanges (Dekoration) erhalten hat - wird, in das Bild eingetragen, ihrer ursprünglichen, kausalen Bedingungen enthoben. Die Struktur erscheint autonom, der damit einhergehende funktionale Sinnverlust wird umgekehrt aufgeladen mit bildnerischem Sinnkontext, etwa der Fläche-Raum-Beziehungen, Figur-Grund-Verhältnisse, der Proportion. Anstelle des durch die Umsetzung verlorenen funktionalen Sinns entsteht nun die Sinnstruktur des Bildes, welche identisch ist mit der Bildstruktur.
Abgebildetes und das Wie des Abgebildetseins fallen untrennbar zusammen in der Fotografie, die Bild genannt wurde. Das Bild also verweist auf sich.

Das, was da den Beschauer gefangen nimmt, was da "Kunst" aufscheinen läßt, zeigt sich selbst.
Ist Zeige, Hand, die auf sich deutet. Die darin eingebundenen Gegenstände werden ihrer gewohnten Kontexte enthoben. Die aufgehobene Vertrautheit läßt sie fremd werden, nachgerade unheimlich. Die Monstrosität ist im Bild selbst als es selbst als "Kunst". Monstrosität - Zeige - Zeichen. Die Bildzeichen und die Logik ihrer Verknüpfung sind jeweils Schlüssel zu einer einzigen autonomen Arbeit. Sie geben weder ein Alphabet, noch eine Grammatik an die Hand, welche, einmal dechiffriert, ein Instrumentarium zum Verständnis jeder Arbeit Sasses zur Verfügung stellen würden. Jede Arbeit selbst stellt mit ihrer Umsetzung des in der Alltagswirklichkeit Vorgefundenen die Grammatik, die Regeln ihres Bildseins allererst auf.

Mit diesen Überlegungen konnte ein Gemeinsames der beiden Bildbeispiele herausgestellt werden, das jenseits eines subsumierenden Begreifens der Arbeiten Sasses als dokumentierendes Aufzeigen von Alltagswirklichkeit liegt. Die Umsetzung des in der Wirklichkeit Vorgefundenen aber hat das Erkennen (und damit Benennen) der Alltagsgegenstände nicht zugleich verunmöglicht. Das sie mit der Fotografie in eine Bildwirklichkeit gerückt sind hat damit nicht das Wiedererkennen aus mehr oder weniger vertrauten Zusammenhängen aufgehoben. Ist damit zugleich eine Leseweise geboten, über die Gegenstände, die die Fotografie zeigt, angesichts der Fotografie Aussagen zu treffen und damit doch etwas über die Fotografien zu sagen? Steht der Gedankengang dieses Textes damit wieder an der ganz zu Anfangs gestellten Frage und scheint eine Beantwortung derselben doch noch nicht in greifbare Nähe gerückt?

Das hier ins Licht gesetzte Problem muß etwas zu tun haben mit dem Medium Fotografie. So sehr die letzten Bildanalysen zu zeigen suchten, daß diese Fotografien als Bilder nur aus einer ihnen eigenen Bildwirklichkeit heraus zu verstehen sind, so sind sie als Bilder doch immer auch Fotografien, und weisen als solche Referenzen zur Wirklichkeit auf. Um die sich hier stellende Frage zu klären, sich einer möglichen Beantwortung anzunähern, muß das Verhältnis beider, Wirklichkeit und Bildwirklichkeit in Bezug auf die Fotografie Jörg Sasses bedacht werden.
Ausgangspunkt für ein Sagen über die fotografierten Gegenstände ist die in gewissem Grade geglaubte Objektivität der Fotografie. Sofern sie nicht mit offensichtlichen manipulatorischen Tricks und fotochemischen Verfremdungen arbeitet, scheint sie ein enges und "glaubwürdiges", d.h. möglichst "unverfälschtes", "direktes Abbild" eines realen Gegenstandes, der "Wirklichkeit" also, vorzugeben.

Diese Wirklichkeitsreferenz aber ist vermittelt über das Foto. Das Foto, so konnten die Bildanalysen zeigen, ist ein nach eigenem Gesetz Hervorgebrachtes, welches die Wirklichkeitsreferenten Ins-Bild-Setzt. Diese unterliegen dann den Gesetzen des Bildes in oben gezeigtem Sinne als Bildelemente. Sie sind ihrer ursprünglichen Kontexte enthoben und in einen Funktionszusammenhang gestellt, der Bildwirklichkeit genannt wurde. Damit verwehrt die als Bild bestimmte Fotografie aus sich ein Gleichsetzen der Wirklichkeitsreferenz mit den tatsächlich in der Wirklichkeit vorhandenen Gegenständen. Das mit dem Foto Begegnende begegnet aktuell erst dem Beschauer mit dem sehenden Erfahren des Bildes.

Damit tragen diese Arbeiten im Zeigen ihrer selbst als Bilder die Grenzen gegenüber Leseweisen vor, die der Auffassung nachhängen, die Fotografie verschwinde immer hinter dem Referenten. Die Arbeiten Sasses geben anderes zu lernen. Daß diese Arbeiten ihre Grenzen selbst vortragen meint, daß sie dem Beschauer, der die auf ihnen abgebildeten Gegenstände als diese benennt und das mit dem Benennen assoziierte Gewußte zum Ansatzpunkt für ein Verständnis der Fotografien wählt, zu verstehen geben, mit solcher Leseweise nicht von der Fotografie selbst zu sprechen, sondern diese als Vehikel zu gebrauchen. So benutzt, ist die Fotografie mit dem Knoten im Taschentuch zu vergleichen, als Erinnerungsstütze, als Verweis auf jenseits der Stütze liegendes. Das jenseits ihrer selbst Liegende aber kann nicht mehr anhand der Arbeiten eingelöst werden. Man kann also die Fotografien Sasses lesen (d.h. jetzt: benutzen) als Alltagsdokumentation, doch geben die Arbeiten selbst die Bedingungen und Gültigkeit eines solchen Verstehens vor. Das genaue Hinsehen lehrt das Verschwinden des Referenten hinter der Fotografie. Das Benennen ist zweifellos möglich, entbehrt aber jede Evidenz zur Erfahrung vor den Arbeiten. Daß diese Fotografien anderes über den Referenten enthüllen als die schlichte wiedererkennende Begegnung mit ihm, deutet auf ein Problem. Indem die Arbeiten sich selbst als Bilder behaupten, in dieser Behauptung die Umsetzung von außerhalb ihrerselbst liegender Alltagswirklichkeit vor-stellen, tragen sie ihre Grenzen, d.h. ihren Kontext, in dem sie stehen und aus dem sie herausstehen, mit vor. Gerade dabei geben sie weit mehr zu erfahren, als diese Formulierung sogleich mitzusagen versteht: ihre Autonomie isoliert sie nicht von ihrem Umfeld, von der Wirklichkeit, sondern sie tragen diese mit, in einem Aspekt, den sie allererst (und sehr begrenzt) erhellen. Im eigenen Kontext sichtbar gehalten sind sie weder beliebig noch so allgemein, um subsumierend Geschichten, Geschichte gar zu sagen. Diese Arbeiten sagen vom Sehen weit mehr. Damit verweigern sie einen Zugriff, der um des Was willens das Wie des Phänomens umgehen will.

Die Annäherung an das Wie des Phänomens mittels der erläuternden Rede jedoch, welche der Sprache des Einzelbildes nachgeht, ist nicht zugleich Versicherung, die Arbeiten "verstanden", "begriffen" und "bewältigt" zu haben. Doch leistet sie Unumgängliches. Mit den Bildanalysen konnten die Arbeiten als in eigenem Gesetz stehende Bilder erkannt werden. Das zu erkennen aber war nur möglich im Stoßen auf eine Grenze, die diese Arbeiten vortragen. Im Stoßen auf diese Grenze zerbrach sich die erläuternde Rede. Der Begriffsapparat der Bildanalyse, die Versprachlichung des zu Sehenden schwindet vor dem zu Sehenden.
Das diese Arbeiten sich dem Sagen ver-sagen meint nicht, die Arbeiten hätten nichts zu sagen. Mit dieser Erkenntnis erst ist die Überlegung zu den Arbeiten Sasses an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt. Der mit der ersten Annäherung an diese Arbeiten konstatierte Spalt hat sich erneut aufgetan, besser, ist nicht geschlossen worden und zeigt sich jetzt in vertrauterem Licht. Was diese Bilder eigens zu erfahren aufgeben, ist nicht mit der Sprache zu bewältigen. Sasses Arbeiten geben an und mit den scheinbar so vertrauten Alltagsgegenständen ein Sehen zu erfahren, das nicht mehr selbstverständlich ist. Das plötzliche - und unheimliche - Begriffslos-Werden der fotografierten Gegenstände ist Eröffnung des Sehens. Das Bezeichnete/Benannte verliert seine alltägliche Sinnzuweisung und zeigt neuen, eigenen Sinn, anschaulich, jenseits der Versicherungsmaschinerie der Alltagszuweisungen.
Aufschrecken des Beschauers, wenn die Begriffe schwinden. Aussetzen des Erkennens, Einsetzen des Sehens.

Thomas A. Lange, 1992


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